Enzo
erzählt von Luigis abenteuerlichem Weg ins Natur- und Katzenhaus
Luigi
ist ein Kater, wie ich. Er ist nur viel älter und rot getigert mit weißer
Schwanzspitze.
Es geschah vor langer Zeit, da wurden drei
kleine Kätzchen in einem Haus geboren, in dem eine Familie mit großen
persönlichen Problemen wohnte. Das bedeutete, sie zankten und schrieen den ganzen Tag und ab und zu
schubsten und schlugen sie sich. Das war nicht nur für die Kinder furchtbar,
die Katzen litten auch und so machten sie sich auf den Weg ein neues zu Hause
zu finden. Zu Dritt marschierten sie los und schon nach kurzer Zeit fanden die
beiden langhaarigen wunderschönen
Mädchen eine Ruhe und Zuwendung versprechende Unterkunft. Katerchen war zu scheu sich den Menschen zu
nähern. Durch einen Fußtritt seines ewig
schreienden ausrastenden Futtergebers
war sein Kiefer gebrochen, das Fressen beschwerlich und er konnte sein Maul
nicht ganz schließen. Es schmerzte. Kam ein Mensch in seine Nähe, geriet er in
Panik und seine Augen sprachen von der Angst vor weiteren Schlägen und Tritten.
So wanderte er aus der kleinen Stadt hinaus. Es war Sommer und der Tisch für
einen hungrigen Kater in der Feldflur reich gedeckt. Regnete es, fand er in
einer kleinen Scheune Unterschlupf, in der schon andere heimatlose Katzen gestrandet waren und
ein freundlicher Mann täglich eine große Schale mit Milch füllte. Es wurde Oktober, der erste kalte Wind strich
über abgeerntete Felder. Katerchen war nun fünf Monate alt und ihm war
anzusehen, wie groß und stark er einmal werden würde. In der Hierarchie der
Scheunenkatzen stand er noch auf der untersten Ebene, aber das störte ihn
nicht. Er dachte nie daran die Scheune und seine Kumpel zu verlassen. Aber es
kam anders.
Nicht weit von der Scheune entfernt führte
ein Spazierweg vorbei, der täglich von vielen Menschen genutzt wurde, ihre
Hunde auszuführen. Die meisten fuhren mit dem Auto vor, öffneten die Tür, ihr
Hund sprang heraus und rannte im Sauseschritt am Straßenrand entlang und der
Mensch fuhr langsam mit dem Auto hinter ihm her. Hier und da gab es auch
Menschen die sich darüber freuten mit ihrem Hund zu rennen, zu toben, Stöcke zu
werfen und einfach gemeinsam Spaß zu haben. Und das ist die Stelle an der
Katerchens Leben sich ändern sollte.
Luise ging mit ihrem kleinen schon etwas
älteren, keiner Rasse zugehörenden mit Katzen und Vögeln aufgewachsenen Hund,
einfach ein rundherum netter intelligenter schwarzhaariger Herr mit Namen
Blacky, den Weg entlang. Sie nahmen sich viel Zeit. Wie jeden Morgen lief ihre kleine Katze
Flecki hinter ihnen her, während die alten Kater zu Hause blieben und
die Ruhe vor der allzu lebendigen Gefährtin genossen.
Es war ein herrlicher Herbsttag, Sonnenschein
verwöhnte die Erde und ihre Bewohner und so liefen das Trio fröhlich immer weiter,
bis sie den Bereich der eingezäunten Steinbrüche erreicht hatten.
Was war das? Blacky spitzte die Ohren, Flecki
wurde unruhig und versuchte einen Weg über, unter oder durch den Zaun zu finden
und Luise nahm ein klägliches Miauen wahr. Sie war eine tatkräftige Frau,
zögerte nicht lange, bat die Tiere am Zaun stehen zu bleiben und kletterte kurz
entschlossen darüber. Am Rand des Steinbruchs stehend überschaute sie schnell
die Situation, in die sich das kleine rote Katerchen gebracht hatte. Wahrscheinlich
auf der Kaninchenjagd war er in den Steinbruch gerutscht, auf einem kleinen
Vorsprung zum Stehen gekommen und nun wusste er nicht weiter. Zum
Heraufklettern war die Wand zu steil und in die Tiefe wollte er auf keinen
Fall. Wusste er doch nicht, dass es an anderer Stelle sogar Wege gab, die den
LKWs ermöglichten den Steinbruch zu befahren. Luise sprach beruhigend auf ihn
ein. Sie ahnte nicht, dass er keinem Menschen vertraute. Was konnte sie
unternehmen, um den kleinen Kerl zu retten. Erst einmal bat sie ihn
durchzuhalten. Sie würde ganz bestimmt zurück kommen und ihn aus dieser Falle
befreien. Katerchen glaubte nichts, aber die Tiere am Zaun signalisierten ihm
Zuversicht.
Bereits am frühen Nachmittag hatte Luise all die Dinge
organisiert, mit deren Hilfe sie glaubte Katerchen zu retten und sie belud ihr
Auto mit Seil, Futter und einer Katzenfalle aus dem Tierheim. Ein netter
Nachbar, zum Glück war er schon im Ruhestand, unterstützte sie bei der Aktion
und wie sich jeder denken kann, sie hatte Erfolg.
Wir wissen nicht wie lange Katerchen schon
auf dem Vorsprung saß, dass hatte er vor lauter Schreck selber vergessen und
auch in späteren Jahren in Gesprächen mit uns jungen Katzen fiel ihm das nicht
mehr ein.
Für uns ist nur wichtig, dass er die Falle betrat,
die Luise mit Hilfe des Nachbarn und der Seile auf den Vorsprung herunter ließ.
Er hatte soviel Hunger, dass er all sein Misstrauen beim Duft der
Köstlichkeiten, die da vor ihm ausgebreitet waren, unterdrückte. Er saß in der
Falle, wurde hochgezogen, starb fast vor Angst und beim Versuch ihn aus der
Falle in einen Katzenkorb zu setzen biss, kratzte und fauchte er so heftig,
dass Luise schnell die Falle schloss und ihn darin sitzen ließ.
Am Abend erwartete sie Gäste. Ihr könnt euch
sicher denken, wer das war. Als Renate mit ihrem Mann eintraf hatte Katerchen
sich immer noch nicht beruhigt, saß verschüchtert in einer Ecke des langen
Käfigs und fraß nun auch nicht mehr. Die beiden sprachen mit ihm, bewunderten
seine Schönheit, sein kuscheliges Fell und Katerchen spürte ihr Entsetzen über
seinen gebrochenen Kiefer.
Im Laufe des Abends kam das Gespräch immer
wieder auf Luises Rettungsaktion zurück
und traurig stellte sie fest, ich kann Katerchen nicht behalten. Ihr Mann war
allergisch gegen rote Katzenhaare. Renates Mann winkte ab, wir haben mit
unseren Tieren genug. Sie blieb still und Luise wollte am nächsten Morgen
Katerchen schweren Herzens samt Falle ins Tierheim bringen.
Auch das kam anders. Im Tierheim war die Katzenseuche ausgebrochen und die Leiterin
befürchtete, dass unser Katerchen zuwenig Widerstandskraft habe und sich trotz
aller Vorsichtsmaßnahmen anstecken würde. Ob Luise ihn nicht behalten könnte,
bis die Seuche unter Kontrolle gebracht wäre und Katerchen wieder aufgepäppelt
sei. Und so stand wenig später die ratlose Luise vor Renates Haustür, Katerchen
inzwischen mit Hilfe der erfahrenen Tierheim-Mitarbeiter und dicken
Handschuhen in einen Katzenkorb
umgesetzt.
Warum soll ich es lange ausschmücken, Luigi
zog zu Renate und ihrer Familie und der restlichen Katzenbande ein.
Der Begin ihrer gemeinsamen Zeit begann mit
Aufregungen. Beim ersten Versuch den Korb zu öffnen verschwand Katerchen.
„Nicht aufzufinden“ war der Kommentar der Familienmitglieder und Freunde der
Kinder, die sich alle an der Suche beteiligt hatten. Renate glaubte nicht das
ihr Schützling weit weg gelaufen sei und bat die anderen im Haus zu bleiben.
Und sie täuschte sich nicht. Im Garten stand ein zweckentfremdeter Hühnerstall
und dort im aufgestapelten Holz saß er, zog sich bei Renates Näherkommen sofort
in einen Hohlraum zurück. Aber sie hatte ihn entdeckt und war beruhigt. Er war
klug. Er würde die ihm in seiner neuen Familie gebotenen Annehmlichkeiten beim
Anblick der anderen Katzen schon erkannt haben.
Eine ganze Woche verbrachte Katerchen in dem
Holzstapel. Renate stellte ihm das Futter hin. Er fraß, wenn sie wieder im Haus
war. Nachts freundete er sich mit den anderen Katzen an, erfuhr einiges über
seine neuen Futtergeber und streckte nach einigen Tagen bereits erwartungsvoll
seinen Kopf aus dem Holzstapel hervor und zeigte seine Freude über das ihm so
liebevoll zusammen gestellte Futter. Und dann, an einem Sonntagmorgen, die
Familie hatte länger geschlafen, die Katzen saßen erwartungsvoll in der Küche
und hofften, der Tag würde endlich beginnen, öffnete sich ganz langsam und
leise die Katzenklappe und Katerchens Gesicht erschien. Von der Katzenbande
herzlich willkommen geheißen setzte er sich mit ihnen in die Runde und als
Renate die Küche betrat sah es so aus, als wäre er immer schon bei ihnen
gewesen. Sein Leben lang blieb Katerchen
misstrauisch und vorsichtig, aber der
Familie gehörte sein Vertrauen.
Natürlich dauerte es eine Weile bis er sich
rundherum in seiner neuen Familie mit all ihren Stärken und Schwäche wohl
fühlte und sein Misstrauen ganz ablegte. Da war der Schlagzeug spielende Sohn,
der auch noch dem Klavier und der Gitarre für Katzenohren viel zu laute
Geräusche entlockte. Aber da auch Oma, Opa und ihr Hund Nicky immer wieder
betonten, sie fänden es schön, wenn die
Jugend musiziert und sie mussten schließlich auch dieses Getöse über sich
ergehen lassen, lernte er, seine Ohren
zuzuklappen und den Lärm an sich vorbei ziehen zu lassen. Das war beim Gekicher
und Geschnatter der Freundinnen der Tochter oft schwieriger. Schließlich wollte
er schon wissen, worüber sie sprachen, auch wenn die Tonlage oft schwierig zu
ertragen war, für ihn als Kater.
Es wurde Februar. Renate lief schon den
ganzen Tag aufgedreht durchs Haus und die Katzen glaubten, der den ganzen Tag
vom Himmel fallende Schnee wäre Schuld daran. Das konnten sie verstehen. Sie
selber rannten immer wieder Schneeflocken haschend durch den Garten, verfolgten
ihre eigene Spur und tobten über den
zugefrorenen Teich. Nur um sich aufzuwärmen gingen sie ins Haus, schliefen
einen kurzen Schlaf und rannten wieder hinaus. Das Lieblingsspiel, und das
sollte auch in schneefreien Tagen lange so bleiben, war
“Bäume wechseln“. Das lernte ich leider nicht
mehr kennen, weil einer der dafür unbedingt gebrauchten Bäume diesem
furchtbaren Sturm in einem Januar vor meiner Geburt zum Opfer fiel. Aber die
anderen haben mir erzählt, wie viel Spaß es gemacht hatte den Walnussbaum
heraufzuklettern, oben angekommen zu warten bis eine andere Katze in der
Blumenesche saß, um dann gleichzeitig
loszurennen, in der Mitte des Rasens sich zuzublinzeln und blitzartig den
anderen Baum hochzuklettern. Bis zum Umfallen wurde diese Spiel gespielt und
die Katzen freuten sich immer wieder über die bewundernden Ausrufe der Familie.
Schon seit dem frühen Nachmittag durfte
Katerchen, der jetzt Luigi hieß, nicht mitspielen. Er wurde in einem der
wenigen Zimmern im Haus festgehalten, aus dem man als Katze ohne menschliche
Hilfe nicht heraus kam. Gemein, sagten alle. Zu früh vertraut, dachte Luigi.
Es war schon dunkel. Nicky wurde zusammen mit
Luigi ins Auto gesetzt und Renate fuhr mit ihnen davon und am allerschlimmsten
war, sie kam ohne die beiden zurück.
Später klärte sich natürlich alles auf.
Renate fuhr am selben Abend noch einmal davon. Diesmal blieb sie viel länger
weg und die Erleichterung der Katzen war groß als sie ihre Kumpel begrüßen
konnten, die beide sehr eigenartig durch den Raum torkelten. Für Alkohol
verabscheuende Wesen ein eigenartiges Verhalten. Nicky wurde freudig von Oma und
Opa in Empfang genommen, und der für eine Katze ungewöhnlich nasse Luigi fiel
auf seinen Lieblingsschlafplatz auf Renates Kuscheldecke und schlief auch
sofort ein.
Was war mit ihnen geschehen? Auch hier ist
die Erklärung wieder sehr einfach. Renate war mit ihnen beim Tierarzt und sie
sind kastriert worden. Kaum aus der Narkose wach keimte Luigis altes Misstrauen
wieder auf und er nahm die erste sich bietende Gelegenheit wahr davonzurennen.
Und Renate rannte hinterher, sozusagen über Stock und Stein. Sie umrundete
Hecken, Zäune, betrat fremde Gärten, immer Luigis weiße Schwanzspitze im Auge,
der einzige Anhaltspunkt in der Dunkelheit, der Gefahr lief, sich im Schnee zu
verlieren. Sie stand erschöpft und mutlos in einem Hauseingang, hatte gerade
ein Holzlager umrundet, in der Annahme, Luigi hätte sich dahinter verborgen und
nun fand sie ihn nicht mehr. Sie dachte an Nicky, der im kalten Auto lag und
bestimmt fror. Da entdeckte sie in einer offenstehenden Garage wieder die weiße
Schwanzspitze. Vorsichtig näherte sie sich dem Ausreißer, sah ihm fest in die
Augen, sprach leise, beruhigende Worte, erzählte von den zu erwartenden schönen
gemeinsamen Tagen und Luigi blieb stehen, erwiderte ihren Blick und ließ sich
auf den Arm nehmen und widerstandslos zum Auto tragen und würde nie mehr
Misstrauen gegenüber seiner Familie empfinden.
Im Oktober als unsere kleine Kitty starb,
Luigis langjährige Freundin und Begleiterin in glücklichen Stunden, verlor er
seine Lebensfreude und sein Kumpel Carlito, der beste aller Baumstürmer, konnte
ihn nicht trösten. Luigi glaubt, wir Jungen hätten jetzt alles von ihm gelernt,
was zu lernen ist und er will zu Kitty und all den anderen, die ihn in seinem
Leben begleitet haben, ins Regenbogenland und er steht schon auf der Brücke,
sieht Kitty und die anderen winken und sieht dann uns mit großen Augen an,
lässt es zu, dass wir ihm zärtlich mit der Zunge über den Kopf streichen und
wir sagen ihm, geh nur Luigi, geh ganz ruhig und warte auf uns, eines Tages
kommen wir auch und bis dahin werden wir noch viel Erleben, Spaß haben und
lachen, aber wir werden dich nie vergessen.
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